Von Idealisten und Pragmatikern

Seit längerem beschäftigt mich das Thema der eigenen Prinzipien und Ideale. Insofern kann es heute etwas esoterisch werden. Ich denke, jeder Mensch hat sich im Laufe seines Lebens Gedanken über Gerechtigkeit, Freiheit, Frieden, Liebe und über den Sinn des Lebens gemacht. Mich interessiert hierbei, wie und warum soviele Menschen diese Gedanken aufgegeben haben? Ist der Glaube und der Kampf für eine bessere Welt weniger sinnerfüllend und wertvoll als Konsum, Habendenken und Lohnarbeit?

In einem anonymen Kommentar bei ad sinistram schrieb jemand:

Karrieren im Kapitalismus verlaufen regelmäßig von unten links nach oben rechts.

Wenn dem so ist, so stellt sich für mich die Frage nach dem Warum? Ist man als vermeintlich junger und i.d.r. wenig wohlhabender Mensch noch idealistisch, träumerisch und normorientiert? Während man mit zunehmendem Alter nur daran denkt, die Miete bezahlen zu können und Kohle, Auto, Häuschen und anderen Kram zu besitzen? Ist die Korrumpierung des Charakters durch Geld, Konsum und Vermögen vorprogrammiert? Ist man als vermeintlich armer und junger Mensch nur neidisch und will ein größeres Stück vom Kuchen? Während man als Reicher den Kuchen für sich behalten will und Besitzstandswahrung betreibt?

Während meiner Unizeit habe ich viele Studenten kennengelernt, die sich als links betrachteten. Abgesehen davon, ob sie es wirklich waren oder nicht (und was nun wirklich »links« ist), betrachteten sie sich als Gegenpol zur herrschenden Meinung. Es wurde viel hinterfragt, analysiert, kritisiert, aufgeklärt und recherchiert. Es wurden Demonstrationen, Workshops und Leserunden organisiert. Der allgemeine Studierendenaussschuss (ASTA) als Interessensvertretung der Studenten, war belebt und dynamisch. Im Sinne der »Weltverbesserung« erlebte ich die Unizeit als eine Art »zweite Pubertät«. Dennoch stellte ich mir die Frage, wie ehrlich, authentisch und glaubwürdig das alles war? Wieviele dieser  kämpferischen Idealisten würden im späteren Berufsleben, die Cordhose durch einen Anzug, die »Junge Welt« durch die »Welt«, das Fahrrad durch einen Mercedes Benz und die Studenten-WG mit einer teuren Mietwohnung ersetzen? Ist die Uni ein Werkzeug für späteren individuellen Wohlstand oder Hort der Wahrheit und Wissenschaft? Sind Studenten wirklich an einer besseren Welt oder vielmehr nur an einen guten Abschluss interessiert?

Auch heute erlebe ich oft, wie Menschen ihre Prinzipien für Eigennutz, Geld und persönliche Vorteile verbiegen.  Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Gerechtigkeit und Vertrauen weichen dem Lebensprinzip Geld. Die eigene Meinung, sofern überhaupt eine vorhanden ist, wird an den Zeitgeist und an den Trend angepasst. Nach und nach verändert man sich: das Gift »Geld« dringt in jede Pore und in jeden Gedanken ein, langsam und schleichend, bis alle Ideale und Prinzipien nur noch »jugendliche Träumereien« sind. Man tröstet sich damit, dass man endlich ordentlich konsumieren kann und dass...

Geld adelt

Geld adelt Konformität, Anpassung und Unterwerfung.
Geld adelt den Zwang zur Lohnarbeit.
Geld adelt den Verlust von Träumen.
Geld adelt die Schere im Kopf.
Geld adelt Unglücklichsein.
Geld adelt den Konsum.
Geld adelt sich selbst.

Man findet sich mit den herrschenden Zuständen ab, akzeptiert sich selbst und alle Dinge als eine »Ware«. Die sozioökonomische Struktur verwandelt  viele Träume, Prinzipien und Ideale in Pragmatismus und vermeintliche Sachzwang-Logik. Insofern ist es völlig unerheblich als wie links, alternativ oder oppositionell man sich selbst hält, solange die eigenen Gedanken nicht entmarktet werden, ist es nur eine Frage der Zeit, bis man zu denen gehört, die man immer kritisiert hat.

Dieser Text versteht sich als Warnung an mich selbst: der Verführung durch das Geld zu widerstehen.

17 Gedanken zu “Von Idealisten und Pragmatikern

  1. Was bedeutet es, wenn man wie z. B. Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Rudi Dutschke, ... dem Weg zu mehr Gerechtigkeit und Nächstenliebe treu bleibt?

    Man muß bereit sein Rufmordkampagnen, Gefängnisstrafen, Folter, Verstümmelung, Mordattentate, ... in Kauf zu nehmen.

    Wer ist bereit, das auf sich zu nehmen?

  2. - die exakt gleiche Frage hatte ich mir vor kurzem auch gestellt..

    Foucault hat in Ordnung der Dinge ein gutes Bild gezeichnet, in welchem er den Physiokraten die Utilitaristen gegenüber stellt. Im Gegensatz zu den Utilitaristen steckt für die Physiokraten noch ein »Wert an sich« in den Dingen. Eine Sichtweise im 18.Jhd, welche mit der expandierenden Geldwirtschaft verdrängt wurde.
    Die physiokratische Art und Weise die Dinge zu betrachten, so vermute ich mal, wird mit der Laufbahn des Erfolgs von l.u nach r.o. von mal zu mal verlernt.
    Konstruktivisten wie wir sind, werden die Dinge unmerklich mehr und mehr zu bloßen Werkzeugen. Jedes Ding erhält nunmehr eine Einschätzung hinsichtlich der Tauglichkeit als »Wachstumsmittel« (in der westlich geprägten Weltsicht) — und man selbst zum rationalen Utilitaristen, der natürlich seine Freiheit liebt. Klar bleiben Gerechtigkeit und all die anderen Tugenden weiterhin in einem als Maßstab ‑allerdings verdeckt durch den schönen Schein des Äußeren (siehe Schuld- vs. Schamgesellschaft).
    Nur wird es mit der Verantwortung (nicht der Wahrheit sondern dem luhmannschen Code gegenüber) und den verschiedenen Rationalitäten in den verschiedenen Rollen immer komplizierter alles unter einen Hut zu bekommen — siehe die heutigen Schlagzeilen.
    Schneller als man Ahnen kann, steckt man mit dem einen Bein in Sumpf x und mit dem anderen in Sumpf y. Jede Handlung erscheint nun als alternativlos — der Schein muss aufrecht erhalten werden. Es darf ja keiner wissen, dass es um einen herum nach Sumpf stinkt..
    Z.Baumann:
    “In jedem System, in dem Rationalität und Ehtik in entgegengesetze Richtungen weisen, bleibt die Humanität auf der Strecke.”

  3. Will es nicht verharmlosen, aber ist es nicht schlicht pragmatisch? Man stellt fest, dass man trotz aller Ideale die Welt nicht (nennenswert) verändern kann. Also richtet man sich ein, so gut es halt geht — und dafür braucht man Geld.

  4. @Depp
    Nun ja, deshalb heißt das Ding ja auch Pragmatismus. (Den man ruhig in Zweifel stellen kann ). Die Ungewöhnlichkeit des Gedankens, auch die Bedürftigkeit des Geldes in Frage zu stellen, ist unpragmatisch, weil die monetären Abhängigkeiten als Pragma gelten. Pragmatismus, kann man übrigens auch »konstruieren« und zum Werkzeug verkommen lassen.
    Bezüglich des Konstruktivismus bin ich absolut bei @Johe. Allerdings hat Humanismus schon aus rein logischen Gründen keinen Platz in Systemsichten. Womit die Ethik eh schon frei ist, in davon unabhängige Richtungen gedrückt zu werden.
    Damit begründe ich für mich auch teilweise die Frage, warum so viele Menschen Gedanken wie Gerechtigkeit, Freiheit, Frieden, Liebe und evtl. Fragen nach dem Sinn des Lebens verloren haben. Es waren nämlich ausgerechnet z.B. die Esoteriker, welche sich der Systemsicht verschrieben haben. Anpassung des Nicht-Pragma ans Pragma.

  5. Für ein glückliches, ein gelungenes Leben, benötigt man keine Ideale, es genügen Verstand und Gefühl, ihr Gegeneinander, ihre wechselseitige Befruchtung, die Fähigkeit zu fragen und hinzuhören — und verhält es sich mit dem Humanismus nicht ähnlich: Ist Mitgefühl und ein Wissen um menschliche Bedürftigkeit nicht ausreichend?

    Haben Epikur und die Epikureer vielleicht ähnlich gedacht? Und macht derjenige, der den Verlust von Idealen beklagt, nicht den Fehler sie für wahr und verbindlich zu halten? Wenn mich das bloße Dasein, Leben und Schauen wieder einmal glücklich gemacht hat und ich erkenne, dass es manchmal ausreicht in das Gesicht eines Menschen zu sehen oder sein Tun zu verfolgen, dann ist der Gedanke von der Unmöglichkeit des Wahren im Falschen lächerlich.

    Wenn jemand (seine) Ideale in den Staub wirft, dann vielleicht, weil er etwas erkannt hat, weil er andere wählt – warum sollte das nicht aus einer Bewusstheit heraus geschehen? Vielleicht aber weiß er auch, dass Ideale Machtausübung und Festschreibung bedeuten und er sich dem versagen will oder es zurückweisen muss: Aus den Worten Fromms, dass die Normalsten die Kränksten sind* oder der Vorstellung Adornos von objektivem Glück**, schlägt ihm nur eine unglaubliche Arroganz entgegen.

    Und er fragt sich, ob dem Menschen gerecht zu werden, nicht bedeuten muss, ihm die Ambivalenz seines Lebens zuzugestehen und damit seine Freiheit. Und weiter könnte seine Folgerung lauten, dass diese Freiheit nichts anderes, als ein Beweis von Liebe ist. Denn er glaubt, dass Menschenliebe sich nur begründen lässt, wenn der andere einen Wert für sich darstellt und für sich existieren kann — und das Maß dafür, denkt er sich, ist eben seine Freiheit. Und gewiss: Er würde keinen Moment lang zögern um zu helfen, wo es notwendig ist.

    * gleich zu Beginn
    ** min. 5:04

  6. Eine ähnliche Frage wollte ich auch noch stellen. Wieso muss man dem Pragmatismus immer den Idealismus gegenüberstellen? Ist dieser ständige Zwang nach Polarisierung, nicht auch eine Form von Pragma? Hierzu gilt es zu erwähnen, das z.B. der Humanismus nicht als Idee oder Ideal glänzen kann. Menschen sind keine Idee, — sondern Existenz. Er gilt als Grundlage, nicht als Philosophikum.

  7. Ziele und Ideale sind schön und gut, aber ich habe schon viel zu oft mit Idealisten zusammen an konkreten Projekten arbeiten müssen, die dann in irgendwelche Traumwelten gelebt haben. Lieber arbeite ich pragmatisch und verändere etwas wenn auch nur im kleinen, als den großen Zielen nachzulaufen und sie nur zu propagieren ohne das etwas passiert.

  8. Sorry, aber ich sehe da für mich nicht den anscheinend üblichen Gegensatz zwischen Idealismus einerseits, und Realismus/Pragmatismus auf der anderen Seite. Gerade weil ich mich für einen sehr realistischen und »pragmatischen« Mennschen halte, kann ich m.E. meinem Idealismus nachgeben. Warum? Nun, er deckt sich mit dem, was ich »für vernünftig« halte, und ich sehe auch, daß ich — wie jedes Individuum — nur das kurze Aufflackern eines Streichholzes in der Dunkelheit bin. Das bedeutet für mich, daß ich »alles geben« kann und auch werde, so sich damit eine echte Verbesserung für die Gemeinschaft ergeben kann.

    Ich bitte, meinen Einwurf und persönliches Pathos gegebenenfalls zu belächeln
    Frank

  9. Sind Idealismus und Pragmatismus nicht auch Brüder ?

    »Karrieren im Kapitalismus verlaufen regelmäßig von unten links nach oben rechts« — Naja, in einem kapitalistischen System eine Frage des Preises. Leider gibt es hier nur wenig im hochpreisigen Segment, dazu gehört schon ein ordentlich gefestigter Standpunkt, reale Erfahrung und ein dicker Kopf. Und natürlich ist die Aussage von Sol Roth auch nicht von der Hand zu weisen.

  10. RamRam

    eine für mich nachvollziehbare geschichte ... nämlich meine ...

    vor über 17 jahren war mir das aufgenötigte matrieorientierte denken plötzlich zuviel geworden ... ich hab meinen doch sicherlich gut bezahlten job als kameramann aufgegeben und hab nach den ursprüngen meines seins gesucht .... ja es ist eine herausvordrung ... und ja ... es wird manchmal nass und kalt doch helfen die repräsalien die man so erdulden muss den weg weiter zu gehen ....
    man kann die welt verändern ... mann kann seinen blick auf die welt ändern ... und somit die welt in ihrem erscheinen ...
    mittlerweile halte ich das innere bild für unser höchstes gut ... ich leide nicht mehr unter einem volksbetrüger ackermann oder einem hetzenden westerwelle .... ihr sein kommt aus ihrem inneren mit dem sie sich über kurz oder lang selbst auseinandersetzen müssen ... wenn ich auf alles verzichten muss nur im ich sein zu dürfen ... mach ich das mittlerweile ...

    achtet euer eigenes sein ... auch mit vermeindlichen fehlern ... es lohnt sich sich treu zu sein .... und eben nicht die eigene moral gegen einen porsche zu tauschen....

    der sinn des lebens ist für mich die pflege des inneren bildes geworden

    JaySitaRam

  11. @Sadhu

    Schön ausgedrückt! Genau darauf wollte ich hinaus:

    es lohnt sich sich treu zu sein .... und eben nicht die eigene moral gegen einen porsche zu tauschen....

  12. Idealist, Pragmatiker – reine Images, die je nach Bedarf beliebig austauschbar sind oder die sich an die jeweilige Situation anpassen lassen. Solange mein Ego dadurch heller leuchtet als andere und ich mir einen gewissen Lebensstandard erlauben darf, ist es unwichtig, wessen Geistes Kind ich bin. Ob ich mit Porsche, Fahrrad oder zu Fuß dem Bioladen einen Besuch abstatte, juckt den Ladenbesitzer herzlich wenig.

    Wir sind alle grün!

    Auch für Ethik und Moral gibt es schon die entsprechende Marketingstrategie. Sicherlich erscheint das manch einem wie künstlich erzeugtes Wachkoma, doch das kompensiere ich durch den Kauf eines natürlich hergestellten Produktes und alle sind nachhaltig befriedigt.

    Lecker!

  13. @Ich find mich toll (?)
    Also ... öhhmm. Ich bin nicht grün. :mad:
    Und gegen Marketingstrategien, hab ich was im ganz Besonderen. Strategien machen grün zu »hinter den Ohren«, gelb zu pissgelb, rot zu St.Pauli und schwarz zum Friedhof. Find ich gar nicht lecker.

  14. @metepsilonema

    Es geht um die Korrumpierung der eigenen Ideale und Prinzipien durch Macht, Geld und Einfluss. Das beste Beispiel sind viele Alt-68er, die Grünen, aber auch viele Ex-Studenten.

  15. @epikur

    Das war mir schon klar. Aber Du schriebst in Deinem Ausgangstext, dass Dich das Thema schon seit längerem beschäftigt. Beschäftigen aber bedeutet doch, dass man noch zu keinem (gültigen) Ergebnis gekommen ist, deswegen war ich von der Antwort oben überrascht (Genau darauf wollte ich hinaus). Ist die Annahme, dass es sich dabei um einen Korruptionsprozess handeln muss, nicht vorschnell? Vergessen wir dabei nicht zwischen unserer Interpretation und der Wirklichkeit (respektive der Sicht des anderen) zu unterscheiden?

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