Im Jahre 2004 wurde im Iran Amene Bahrami aus verschmähter Liebe mit Säure übergossen. Seitdem ist sie im Gesicht entstellt und vollständig erblindet. Laut der iranischen Scharia-Justiz durfte sie Vergeltung an ihrem Peiniger üben: fünf Säuretropfen ins linke Auge, fünf ins rechte. Der Täter, Madschid Mowahedi, war männlich und zeigte keine Reue. Die Vollstreckung sollte am 14. Mai 2011 stattfinden. Nach internationalen Protesten, allen voran Amnesty International, wurde das Urteil bis auf weiteres ausgesetzt. Wer ist hier Opfer und wer Täter?
Amnesty International wurde vorgeworfen, es betreibe Täterschutz, indem die Organisation an das Opfer Amene Bahrami appeliert hatte, das Urteil aus Gründen der Menschlichkeit nicht zu vollstrecken. Nicht nur im Iran, auch international hat der Fall vor allem auch deshalb für Aufsehen gesorgt, weil sich im Iran erstmals öffentlich eine Frau an einem Mann rächen wollte. Insofern habe AI unfreiwillig den iranischen Machthabern in die Hände gespielt und der internationale Protest dürfte dem Iran in diesem Falle gelegen gekommen seien, so der Vorwurf. So konnte man als öffentliche Begründung, für die Aufschiebung der Vollstreckung, dem internationalen Protest die Schuld geben. Dennoch sollte nicht vergessen werden, dass sich AI auch gegen Frauen-Steinigungen im Iran einsetzt. Betreibt der Iran Opferschutz, wenn es Frau Bahrami erlaubt, Vergeltung an ihrem Peiniger zu üben?
Die Begriffe Täter und Opfer sind emotional aufgeladen und es ist nicht immer eindeutig, wer Opfer und wer Täter ist, wie z.B. im Falle Kachelmanns. Der deutschen Justiz wird oft vorgeworfen, sie betreibe Täterschutz und vernachlässige die Opfer. Ist dem Opfer geholfen, wenn es sich am Täter rächen darf? Wenn das Opfer selbst zum Täter wird?
In Deutschland gibt es so einige Stimmen, die härtere Strafen wollen, ja sogar die Wiedereinführung der Todesstrafe für Kinderschänder fordern. Täter würden von der Justiz zunehmend geschützt und mehr als Opfer behandelt, wie das eigentliche Opfer selbst, so der häufige Vorwurf: »eine schwere Kindheit, psychische Störungen, Alkohol« usw. seien schuld gewesen. Ich vermute, es gibt nicht wenige in Deutschland, die das Urteil im Iran, die Rechtssprechung im Iran, klammheimlich für angebracht halten. Dem Täter muss es eben heimgezahlt werden, er soll leiden, wie das Opfer gelitten hat, so der Tenor. Am besten sollte man den Täter langsam zu Tode foltern, schließlich habe er ja das Leben von Amene Bahrami zerstört. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Islamkritiker, Rechte, BILD-Leser und Deutschnationale kritisieren öffentlich das rückständige und barbarische Rechtssystem im Iran und würden es gleichzeitig am liebsten teilweise auch in Deutschland umgesetzt sehen. Gerechtigkeit ist Rache und Rache ist Gerechtigkeit?
Der beste Opferschutz, den ein Rechtssystem und ein Staat seinen Bürgern bieten kann, ist Prävention. Denn ist die Tat ersteinmal ausgeführt, kann es keine Wiedergutmachung geben, nur Verständnis, Hilfestellung und Mitgefühl. Keine Rechtssprechung und kein Urteil dieser Welt kann eine Straftat wieder rückgängig machen. Der Glaube an Präventionsarbeit wird in der breiten Bevölkerung aber wenig akzeptiert und mitunter sogar als »Gutmenschentum« belächelt. Davon abgesehen kann und wird es nie eine hundertprozentige Sicherheit geben. Kaum eine Regierung hat das Selbstbewusstsein, dies seinen Bürgern zu vermitteln.
Der einfache Gedanke, der Täter ist immer der Erste, endet mitunter in jahrzehntelangen Blutfehden, bei welchen die letzten die ersten immer dem nächst zurückliegenden zuordnen. Immer dann, — wenn es sie selber betrifft. Was zwangsläufig dabei passiert. Den Reigen aus Rache und Gegenrache aufzubrechen, hat immer das Höchstmögliche vom Betroffenen selber gefordert. Und es war immer ein Opfer, welches dies tun musste. Der Beweis schlechthin, — dass es keine Perfektion geben kann. Dahinter steckt sogar eine logische Gemeinheit. Es ist aktive Passivität, aufgrund der Auseinandersetzung mit dem Wirken des Geschehens, welches dies vollbringen kann. Der ursprüngliche Grundgedanke des religiös-moralisch missinterpretierten Evangeliums. Traurig, was daraus geworden ist. So ist Prävention, als einzige und beste Möglichkeit übrig geblieben.