ZG-Rückblick: Digitale Sozialisierung

Die technische Entwicklung hat die Art und Weise wie wir kommunizieren schon immer geprägt. Ohne genaueres Hintergrundwissen scheint mir bis zur Entwicklung des Fernsehens der Nutzwert im Verhältnis zu den Nebenwirkungen meist als positiv betrachtet worden zu sein.  Das digitale Zeitalter definiert sich quasi durch einen Quantensprung in der Entwicklung der Kommunikationstechnik. Ab sofort ist jeder potentiell immer und überall erreichbar und die Kommunikationsform ist vor allem von der Software abhängig. Die Hardware ist in der Lage alles mögliche zu unterstützen. Dank der Vernetzung ist empfänger- und senderseitig quasi keine Einschränkung mehr vorhanden: Jeder kann potentiell die ganze Welt erreichen und die ganze Welt erreicht potentiell ihn.

Heutige Teens und teilweise Tweens sind mit dieser uneingeschränkten Vernetzung groß geworden. Ist das ein Grund zum Kulturpessimismus? Oder ist das einfach Fortschritt? Gegenüber dem TV mit seiner einseitigen Kommunkationsform womöglich ein durchaus begrüßenswerter.

todesglupsch sagt:
Ich tue mich etwas schwer überhaupt bei diesem Thema zu werten, da ich persönlich eher träge bin was die Nutzung von Kommunkationstechnik angeht. Mir erschließt sich der Nutzen vieler Kommunikationsplattformen nicht auf natürliche Weise. Ich weiß aber wohl aus meiner Arbeit an der Schule, das z.B. soziale Netzwerke häufig gesperrt werden, also die Kommunikationsformen ein vermutlich großes Ablenkunspotential vor allem auf Heranwachsende ausüben können. Dies ist wohl nicht verwunderlich, da Jugendliche in diesem Alter häufig geradezu süchtig nach sozialer Interaktion sind. Wichtig ist vielleicht festzuhalten, dass diese modernen Formen von Interaktion nur zusätzlich aber nicht ersetzend sein sollten. Das scheint offensichtlich zu sein, aber ich denke teilweise neigen gerade Jüngere dazu sehr viel Zeit mit digitalen Kommunikationsmedien zu verbringen und dabei möglicherweise das rechte Maß aus den Augen zu verlieren. Kulturpessimismus ist aber vermutlich wie bei den meisten neuen Entwicklungen eher den Pessimisten vorbehalten.

jtheripper sagt:
An sich stehe ich jeder neuen Kommunikationsform immer recht offen gegenüber und bin neugierig wie diese funktioniert, wer diese in Zukunft dann auch wirklich nutzt und ob ich es selbst nutzen will. Wobei ich die so große Beliebtheit und den Hype nicht wirklich nachvollziehen kann. Denn die Möglichkeit mit alten Bekannten und Freunden über das Netz in Kontakt zu treten, gab es auch schon vor Facebook und den VZs. Nur die einfache Benutzung, die klare Ausrichtung und auf jeden Fall auch das öffentliche daran haben erst den Erfolg gebracht. Wenn ich mit jüngeren Kollegen darüber spreche, merke ich wie selbstverständlich es für sie ist. Sie beschäftigen sich nicht mit dem Warum, sondern sind einfach dabei. Und es wird noch einfacher, denn inzwischen braucht man nicht mal mehr ein Computer um in den Netzen aktiv zu sein. Smartphones machen es möglich wirklich ständig online zu sein und mit allen 150 Freunden den Tag zu verbringen ohne sie sehen zu müssen. Dies kann im schlimmsten Fall natürlich eine oberflächliche Gesellschaft/Kultur hervorbringen (echte Pessimisten behaupten wir haben diese bereits, wobei sie sich natürlich Realisten nennen), aber es gibt auch immer eine natürliche Gegenbewegung, wenn die Leute den Unterschied zwischen einer echten Unterhaltung mit der ganzen Körpersprache und Mimik und einem Tweed erkennen. Habe ich mich jetzt als Optimist entpuppt?

epikur sagt:
Als erstes würde ich betonen, dass technischer Fortschritt nicht mit menschlichen Fortschritt gleich zu setzen ist — genau dies tun aber leider viele. Weder das Fernsehen, noch das Internet, noch das Auto, noch Flugzeuge, Stereoanlagen usw., haben die Scheidungsraten gesenkt, die Selbstmordrate verringert, die Umweltverschmutzung aufgehalten, Gewaltverbrechen verhindert oder das Glück der Menschen gefestigt. Insofern ist m. E. technischer Fortschritt häufig nur ein Alibi-Fortschritt, der Mensch an sich ist dadurch nicht wirklich »besser« geworden. Oder um es mit den Worten Neil Postmans zu sagen: »es ist zwar technisch eine Meisterleistung wenn sich nun ein Mensch in Texas und New York unterhalten können. Was ist aber, wenn sich die beiden gar nichts zu erzählen haben?«.

Ein interessantes Phänomen bei den sozialen Netzwerken im Internet, unterstützt meine oben genannte These. Denn trotz Studi VZ, Facebook, Jappy und wie sie sich alle nennen, ist der Anteil an Singles nicht sonderlich gesunken. Jeder kann heutzutage blitzschnell, und meist ohne große Konsequenzen oder Probleme, online andere Menschen kennenlernen. Ob sich dadurch die zwischenmenschlichen Beziehungen qualitativ wirklich verbessert haben, darf  jedoch bezweifelt werden.

In diesem Sinne ist jeder Kritiker von technischem Fortschritt nicht gleich ein Kulturpessimist (auch dieser Begriff wäre ein Neusprech-Kandidat ;) ). Denn die Technik besteht, wie viele andere Dinge im Leben, nicht an sich, eine Wertung hängt meist daran, wie sie benutzt wird und was sie wirklich verändert.

Ein Gedanke zu “ZG-Rückblick: Digitale Sozialisierung

  1. Ups, da hab ich heute einen ähnlichen Gedanken gehabt. Wieso ist eigentlich jeder der Fortschritt oder Technik in Frage stellt gleich ein Pessimist, oder Technikhasser ? Ist jeder der seine Freundin mal kritisiert, auch gleich komplett gegen die Dame? Ich befürchte in, und um moderne Kommunikationsmittel, und speziell auch Internet, haben wir uns einen leichten Zwang zum Schönsehen eingehandelt. Möglich das ich das etwas arg pessimistisch sehe, aber ich sehe diese digitale Sozialisierung als etwas höchst oberflächliches an, und die Motivationen dahinter sind mehr als zweifelshaft.

    Da mach ich mal ganz technokratisch einen fiesen Vorschlag ;-) Eine neue Kommunikationsform. Der emphatische Transmitter. Jeder kriegt einen Stöpsel ins Hirn, und das Handy funktioniert als Gefühlsleser, wie auch Überträger. Statt Sprache, oder Schrift die Reinform sozusagen. Wäre auch für Gedankenübertragung geeignet. Ich bin fast überzeugt davon, das zum jetzigen Zeitpunkt soziale Netzwerke ziemlich schnell den Bach runtergehen würden, weil der Spiel und Spassfaktor plötzlich genauso fehlen würde, wie die anonymisierte Oberflächlichkeit und Distanz.

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