Tierethik und die Konstruktion der Welt

Der Eisbär Knut und sein PflegerDiebisch wie eine Elster, geschmeidig wie eine Katze, schlau wie ein Fuchs, scheu wie ein Reh oder stumm wie ein Fisch? Fabeln und Märchen weisen Tieren Eigenschaften zu, personalisieren sie. Wir werden mit diesem Kulturkontext groß, leiten daraus moralisch gerechtfertigte Entscheidungen ab. Spinnen sind für viele eklig, hinterlistig und böse. Sie zu töten, sie zu zertreten bereitet den wenigstens ernste Gewissensbisse. Würde aber jemand öffentlich eine Katze töten, wäre der Aufschrei groß. Zumindest in Deutschland. Kann man Tieren einfach Kategorien wie »gut« und »böse« zuweisen? Hat nicht jedes Tier, jedes Lebewesen seine Berechtigung? Und auch wenn diese moralischen Kategorien erzogen worden sind, so erscheinen sie mir doch willkürlich festgelegt.

Was würde uns eine Spinne oder eine Katze sagen, wenn wir sie fragen würden? Ob sie sich mit der von uns zugewiesenen Eigenschaft identifizieren kann? Empfindet sich eine Spinne als hinterlistig und böse und eine Katze als geschmeidig und schmusebedürftig? Ich vermute, wir Menschen konstruieren es. Scheinbar willkürlich werden Tiere und Pflanzen (Unkraut) in nützlich und wertlos geteilt. Je nachdem wie wir es gerade brauchen. Während die Deutschen Kühe essen, werden sie in Indien verehrt. Während die Chinesen Hunde essen, sind sie in Deutschland der »beste Freund des Menschen«. Sicher kann man hier mit dem Kulturkontext und der Erziehung argumentieren. Dennoch sehe ich in der moralischen Kategorisierung der Tierwelt eine große Willkür. Diese wäre an sich ja noch kein Problem, wenn wir daraus nicht auch ableiten würden, wer es »verdient« hat zu sterben oder wer nicht.

Ich finde es bedenklich, wenn Mitmenschen Hunde als »süß« bezeichnen, sie dann streicheln und »lieb haben« wollen. Ist der Hund nicht »süß«, passt er nicht in ein vorgegebenes ästhetisches Tierschema, wird ihm auch keine Liebe entgegengebracht. Ja, es kann sogar soweit gehen, dass man dem Tier den Tod wünscht oder es einen nicht sonderlich kümmert, wenn das Tier verreckt. Schließlich ist es nicht »süß«. Haben nicht alle Tiere Respekt und Achtung verdient?  Und eben nicht nur Knut, der Eisbär? Mit welch maßloser Arroganz und Willkür — selbst abseits des großen Raubbaus an der Natur — behandeln wir Menschen der Industrieländer die Tierwelt? Wir zerstören Natur und Tierwelt und haben sie dabei nicht einmal verstanden.

Wir konstruieren uns unsere Welt. Wir erschaffen sie uns dergestalt wie sie uns gefällt. Eine objektive Wirklichkeit ist demnach nicht vorhanden. Es kann sie gar nicht geben. Der Konstruktivismus besagt z.B., dass Diskurse die Grundlage aller menschlichen Entscheidungen sind. Oder einfacher ausgedrückt: die Kommunikation selbst bestimmt nicht nur unsere Weltsicht, sondern ist die Welt.

4 Gedanken zu “Tierethik und die Konstruktion der Welt

  1. Ui. Schwieriges Thema.
    Da muss ich die Frage aufstellen. Ist Konstruktivismus wirklich etwas spezifisch menschliches? Katzen z.B. spielen oft mit Mäusen, bevor sie sie töten. Ich denke das Konstruktivismus etwas mit vorhandenen Möglichkeiten, und einer vorhandenen Funktionalität zu tun hat, die befähigt diese Möglichkeiten zu erweitern. Das so ein menschliches Gehirn ganz besonders konstruktiv darin ist, Spiel und Spaß mit Zerstörung zu verbinden, steht wohl außer Frage. Was dero Menschsein womöglich vom Tiersein unterscheiden könnte, wäre das was du hier machst. Die eigene Konstruktivität in Frage stellen. Reflektionsvermögen.

    Ich persönlich glaube eher an eine Art Bequemlichkeit, gewohnte, gelernte, oder gewollte Schemata zu verlassen, bzw. in Frage zu stellen. (Konstruktion durch Destruktion ?)

    Stellen wir uns Knut den Eisbären, doch mal mit einem blutverschmierten Maul, und einer toten kleinen Seerobbe darin vor. Zeigen wir’s unseren Kindern? Oder nicht?

    Oder an die Sternzeichen,- und Astrologiegläubigen unter uns. Versuchen wir uns das eigene Sternbild am Himmel, in Gedanken mal dreidimensional von der Seite anzuschauen ;-) — Weg isses.

    Interessant finde ich auch Gleichnisse in der Form; Ein Mann sitzt am Küchentisch, verzehrt ein Steak, und streichelt dabei seinen Hund. Will heißen; Ein Mensch liebt, und verzehrt im selben Moment ein Tier.

    Stellt man sich die Welt erstmal gar nicht vor, sondern in Frage, — ist auch der Versuch erlaubt, sich vorzustellen eine Spinne zu küssen ;-)

  2. Dekonstruktion vorhandener Denkmuster scheint mir eine gute Möglichkeit zu sein Aufklärung und Nachdenken voranzutreiben. Knut mit einem blutverschmierten Maul und einer toten Seerobbe im Maul sowie das Bild wie ein Mensch eine Vogelspinne küsst, wären so etwas.

    Vermutlich würden sich aber viele einfach nur mit einem »ihh« abwenden. Liebgewonnene Denkstrukturen verteidigt man oft bis aufs Äußerste. Bestes Beispiel derzeit: der Neoliberalismus ist geschichtlich gescheitert und wird trotzdem verbissen propagiert. Vermutlich auch dann noch, wenn die Welt bereits brennt.

  3. »Eine objektive Wirklichkeit ist demnach nicht vorhanden.«

    ja. und ich behaupte, die erde ist eine scheibe. fällt was auf?

    sorry, aber ich halte die verschiedenen spielarten des konstruktivismus für eine der verheerendsten ideologien der letzten jahrzehnte — gerade deshalb, weil es zwar einen gewissen anteil von realität darin gibt — es existieren imo konstruierte realitäten, aber das verstehe ich eher als (versuchte) kompensation von defekten, genauer: wahrnehmungsstörungen.

    weil ich mich darüber schon ausführlich bei mir geäussert habe, spare ich mir die wiederholung der argumente und verweise auf längeren lesestoff:

    konstruktivismus und kulturwissenschaft:

    http://autismuskritik.twoday.net/stories/kontext-48-guten-morgen-kulturwissenschaften-ausgeschlafen/

    zu paul watzlawick als vertreter des psychologischen konstruktivismus (im letzten teil des beitrags):

    http://autismuskritik.twoday.net/stories/3536135/

    und zum sog. »neurolinguistischen programmieren«, einer hoch manipulativen und konstruktivistischen psychotechnik...

    http://autismuskritik.twoday.net/stories/1404147/

    ...die sich übrigens nicht umsonst gerede in kreisen der selbsterklärten (neoliberalen) »elite« einiger beliebtheit erfreut:

    http://autismuskritik.twoday.net/stories/aufgewaermt-grundeinkommen-neurolinguistisches-programmieren/#6199003

    vielleicht ist es danach etwas klarer, warum ich es höchste zeit finde, mit den mythen des konstruktivismus aufzuräumen — die halte ich für wesentlich beteiligt an den diversen antisozialen gesellschaftlichen entwicklungen.

    btw: hinsichtlich der wahrnehmung von tieren bin ich d´accord — es ist reine willkür, tieren aufgrund ihres unterschiedlichen aussehens und ihrer eigenschaften unterschiedliche wertigkeiten zuzuweisen.

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