Bodenlosigkeit

Heute werde ich das Blog auch wirklich mal als solches gebrauchen: als persönliches Tagebuch. Mir ist stark danach. Und nach dem Lesen des Beitrages wird vielleicht auch klar, wieso ich diesmal ein solches Bedürfnis hege. Kurz und knapp, um die Einleitung zu überspringen: ich war insgesamt 5 Tage im Krankenhaus, mit Vollnarkose und davon 1 Tag  in künstlichem Koma. Heute bin ich entlassen worden.

Einfache Schluckbeschwerden stellten sich als ein bösartiges Geschwulst im Hals heraus, der bei weiterer Anschwellung zu Atemnot oder gar Ersticken hätte führen können. Der Weg von der 1. Hilfe zum OP-Saal war ausgesprochen kurz. Zu kurz. Der Arzt meinte lapidar: »diese fiese Krankheit müssen wir sofort behandeln«. Als ich wieder aufwachte, lag ich mit Beatmungsschlauch in der Intensivstation. Reichlich ekliges und hilfloses Gefühl, dass ich wohl seit Jahrzehnten so nicht mehr verspürt hatte.

Kaum war ich halbwegs bei Bewusstsein regte sich auch mein Sarkasmus wieder. Denn ich lag nicht allein in der Intensivstation, neben mir lag eine Frau in sehr hohem Alter. Die Dienstschwestern machten gerade eine Übergabe und erzählten frei heraus, an welchen Krankheiten die Frau so litt. Sie hatte einfach alles was man sich so vorstellen kann. Als ich nur stöhnte und ächzte und zu einer Schwester meinte, ob sie dass nicht in einem separaten Raum besprechen mögen, mich würde soviel Krankheit noch kränker machen-ich sei gerade aus dem Koma wieder aufgewacht und es sei reichlich unsensibel mich mit Todes-Krankheiten zu zu texten- meinte sie nur zu mir »thats life«.

Die Zweiklassenmedizin war für mich im Krankenhaus nur allzu offensichtlich. Ich muss dazu sagen, dass ich alle paar Jahrzehnte sehr krank, geschweige denn im Krankenhaus bin. Was andere tagtäglich erleben/ertragen müssen, ist für mich ein eher seltenes Vergnügen. Umso erschreckender bzw. eindrucksvoller war die Wucht der Erfahrung, dass man als Kassenpatient ein Mensch zweiter Klasse ist. Wer das noch verleugnet, ist ein fahrlässiger Lügner oder einfach nur ein Arschloch.

Sicher ist die Phrase, dass man in solchen Momenten Klarheit über die wirklich wichtigen Dinge im Leben bekommt, eine Redewendung. Aber es stimmt. Wenn das eigene Leben auf Erbsengröße zusammenschrumpft, verliert der ganze Schnörkel seinen Reiz. Ganz besonders einem Menschen, möchte ich auch auf diesem Wege ganz herzlich danken: meiner lieben Freundin Anja. Sie schenkt mir viel Kraft und Liebe. Aus dem künstlichem Koma aufzuwachen und ihr Gesicht vor mir zu sehen, war die beste Medizin, die ich haben konnte. Und auch für soviel Pathos und Schmalz muss mal Platz im ZG-Blog sein ;)

12 Gedanken zu “Bodenlosigkeit

  1. Umpf. Na dann aber hallo, das du wieder unter den (Halbwegs-)gesunden weilst. Die zweite Klasse im medizinischen Reparaturbetrieb ist wahrlich alles andere als lustig, und wird wahrscheinlich noch schlimmer werden. Wer das noch leugnet, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.
    Aber Pathos, und Schmalz? Nöööö. Ganz und gar nicht. Nach so einfachen menschlichen Sachen wie Gefühlsbeschreibungen kann man all zu oft vergeblich suchen. Da scheint was generell verloren gegangen zu sein. Wir sind ja alle sooo sachlich und abgeklärt ;-) Da kann man ruhig mal eine Parallele zum Gebrauch zu so Worten wie z.B. Sozialromantik ziehen.
    Gute Restgenesung noch.

  2. Ich habe mir schon irgendwas in der Richtung gedacht. Ist ja nicht deine Art, so plötzlich zu verschwinden.

    Zum Glück ist alles gut gegangen. Ich muss das dann bitte noch mal alles erzählt bekommen. Bis denne.

  3. Schluck. My Goodness. Was du für Sachen machst. Da wünsche ich dir dass sich alles gut ausheilt. Freu mich jedenfalls sehr, dass du noch da bist und hier weiter textelst!

  4. Von mir auch ganz herzliche Grüße und Genesungswünsche. Mensch, Du machst aber auch Sachen... Und wie geht das nun weiter ? Ich meine, eine Geschwulst ist ja nun ein Tumor.

    Lieber epikur, ich möchte hier wirklich niemandem Angst machen und Dir schon gar nicht. Aber mein langjähriger Lebensgefährte Michael hatte vor 4 Jahren auch plötzlich Schluckbeschwerden. Es stellte sich als Zungengrundkrebs (Primär-Tumor in der Nähe des Kehlkopfes) heraus und im April letzten Jahres ist er daran verstorben.

    Passe bitte gut auf Dich auf, ja ?

  5. 1. wünsche ich gute Besserung — 2. wwümsche ich, daß es mit der OP dann auch erledigt ist und nicht noch irgendetwas nach kommt — 3. finde ich es nicht pathetisch, seinen Gefühlen Ausdruck zu geben (geschieht ohnehin viel zu selten) und 4. solltest du dich einfach nur freuen, daß du nicht andauernd mit Krankheiten und unserem Gesundheitssystem so intensiv zu tun hast ;-)
    Gruß, Frank

  6. Willkommen in wirklichen Leben des Kassenpatienten. Man muss sich um seine Infusion kümmern, darauf achten, die Schwestern rufen, wenn sie durchgelaufen ist, man hat sein Erbrochenes selbst aufzuwischen, wenn man die morphinhaltigen Medis nicht vetragen hat. Oder man wartet bis zum nächsten Tag, wenn dann die Putzkolonne wieder kommt. Die Kopfkissen sind knuddelig, so dass einen der Kopf dabei weh tut, also sollte man sein eigenes Kopfkissen mitbringen. Die wenigen Krankenschwestern können ihre Arbeit nicht mehr bewältigen und, und, und ... Willkommen im deutschen Gesundheitswesen. Das es auch anders geht, zeigt Norwegen. Beides unfreiwillig ausprobiert.

    Gute Besserung!

  7. Eigentlich wollte ich ja wieder ein paar sarkastische floskeln machen. Vorallem die Behauptung « ... ein Arschloch.«, ist wie eine Einladung.
    Kann es sein das du etwas hypersensibel dadrin warst?
    Objektiv gesprochen, würde ich sagen die sachen die du angesprochen hast sind alle zutreffend und nicht unwichtig/leicht zu ertragen. Vorallem wenn man mit Krankenhäusern nicht viel am Hut hat, oder haben will.
    Jeder war schon mal so krank das man »Hilflos« war, in so einer situation zeigt sich dann ein Teil des Wesen von demjenigen. Vertraut man den Ärzten/schwestern, dann zeigt man das auch und wird »ein wenig« anders behandelt. Stellt man aber in frage, was und wie etwas gehandhabt wird. Macht man sich unbeliebt und man bekommt das auch zuspüren. Eig. sollte sowas nicht sein, aber jeder macht fehler.

    Ich finde auch das sowohl mit den Behandlungsmethoden in den Krankenhäusern, als auch mit der Bürokratie der Krankenhäuser etwas nicht stimmt.

    Krank sein, ist hierzulande eine doppelte Bestrafung.

    Gute Besserung, alter Querulant ;)

  8. @Julie

    Vielen Dank für Deine Anteilnahme und mein herzliches Beileid wegen Deinem Lebensgefährten Michael.

    Ich habe mich medizinisch wohl nicht ganz korrekt ausgedrückt, denn ich hatte ein Abzess und kein Geschwulst. Mein HNO-Hausarzt bei dem ich zur Nachbehandlung bin, sagt mir auch, dass alles gut verheilt ist. Also mach mir bitte keine Angst ;)

    @all

    Vielen Dank für eure Genesungswünsche. Nun bin ich wieder bereit meinen kritischen Tönen mehr Farbe zu verleihen.

  9. Lieber Markus,

    schön, dass Du Dich meldest und vielen Dank für Deine Anteilnahme. Es freut mich, dass es bei Dir »nur« ein Abzess war und alles wieder in Ordnung kommt.

    Nun erhole Dich man erst richtig und dann verwöhnst Du uns wieder mit Deinen Artikeln, OK ? Auf Dein nächstes »Neusprech« bin ich schon gespannt :-)

  10. Von mir auch weiterhin alles Gute.
    Ja, die Kasenpatienten bekommen einen Termin beim Arzt in ACHT Wochen.
    Ruft mein Freund an, er ist Privatpat., har er morgen einen Termin.
    Unglaublich.

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