Revolution von Oben

INSM verführt Studenten (Seite 2) | INSM kauft Barbara Eligmann (Seite 3)

Am 17. Dezember 2003 schrieb der Stern einen Artikel mit dem gleichnamigen Titel über die unternehmerfreundliche Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (kurz: INSM). Keine andere Formulierung würde die Programmatik, die Ziele und die Arbeit der INSM besser auf den Punkt bringen, als die Revolution von oben. Im folgenden also ein aktuelles Beispiel einer Initiative, welche in unserer Mediendemokratie es geschafft hat, die öffentliche Meinung auf ihre Seite zu ziehen und dabei selbst stets im Hintergrund, sprich: untransparent geblieben ist. Das ist auch der Grund warum die INSM in der Öffentlichkeit relativ unbekannt ist. Durch Medien-Kampagnen; sog. Botschafter, die zu Talkshows geschickt und/oder von Journalisten interviewt werden; einen hohen Netzwerkcharakter; selbst erstellte Studien, welche ihre Thesen untermauern sollen und einen ausgeweiteten PR-Journalismus, welcher nicht immer als solcher zu erkennen ist, gilt die INSM als bis heute erfolgreichste Initiative und hat zahlreiche Nachahmer gefunden. Sie hat politische Begriffe erschaffen und geprägt und unternehmerfreundliche Themen auf die politischen und medialen Agenden gesetzt. Der neoliberaleAls Neoliberalismus wird die wirtschaftspolitische Theorie bezeichnet, welche den Einfluss des Staates auf das Wirtschaftsgeschehen minimieren will, es jedoch als notwendig ansieht, das der Staat die Sicherstellung funktionierender Märkte vorantreibt. Kurs von rot/grün ist auch dem großen Einfluss der INSM zu verdanken.

Gründung und Finanzierung
Höchste Zeit für Reformen.
Plakatbeispiel 1 der INSM
Die Initiative wurde im Jahr 2000 vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall gegründet. Martin Kannegießer, Arbeitgeberpräsident von Gesamtmetall, startete eine Umfrage ob die Deutschen eine gute Meinung von der Marktwirtschaft hätten oder nicht und das Ergebnis veranlasste ihn zur Gründung der Initiative. 22 Prozent im Osten und nur 44 Prozent im Westen hatten eine gute Meinung von der Marktwirtschaft. Seitdem sah es die Initiative als ihre Aufgabe an, einen "Bewusstseinswandel der Deutschen voranzutreiben", wie es Martin Kannegießer formuliert hat. Möglichst viele Deutsche sollten fortan den Weg der Neoliberalen als den Weg zu mehr Freiheit und zu mehr Wohlstand ansehen. Wirtschaftsliberale Themen sollten zudem fortan auf die politische und mediale Agenda gesetzt werden. Folglich überweist der Arbeitgeberverband Gesamtmetall bis zum Jahr 2010 rund 10 Millionen Euro jährlich an die Initiative, welche die Summe zu 70% für PR – Kampagnen und zu 30% für Anzeigen verwendet. Sie versteht sich als moderner Think Tank, in welcher die Themen nicht nur wissenschaftlich bearbeitet, sondern auch kampagnenfähig inszeniert und vermittelt werden.

Unterstützer und Mitglieder
Die Initiative besteht aus 40 festen Mitarbeitern, vielen Kuratoren, Unterstützern, freien Mitarbeitern und sogenannten Botschaftern, die für die Idee der Initiative werben. Auf diese Weise ist ein großes Netzwerk entstanden, welches schwer zu erfassen ist. Zudem sind die Mitglieder der INSM parteiübergreifend, welche die gesellschaftliche Akzeptanz ihrer Ideen erhöhen soll. Mit Ausnahme der PDS sind Politiker aller Parteien vertreten, zudem Prominente aus Unternehmen und Wissenschaft. Dieter Rath und Tasso Enzweiler, welche früher für die Financial Times und das Manager Magazin geschrieben haben, sind die Geschäftsführer. Hans Tietmeyer, ehemaliger Bundesbank Chef, Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Oswald Metzger, Grünen Politiker sowie die thüringische Landtagspräsidentin Dagmar Schipanski, um nur einige zu nennen, sitzen im Kuratorium der Initiative. Weitere Botschafter sind Roland Berger, Chef der Roland Berger Strategy Consultants, Dr. Nikolaus Schweikart, Vorsitzender der Altana AG, Christine Scheel, Bündnis90/Die Grünen, Erwin Staudt, Ex-Vorsitzender der Geschäftsführung von IBM Deutschland und Silvana Koch-Mehrin Mitglied des Europarlamentes der FDP. Zum Initiatorenkreis zählen: Lothar Späth, Ex-Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg und ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Jenoptik AG, Sebastian Turner, Chef von Scholz & Friends, Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach, Claus Strunz, damals Chefredakteur der Bild am Sonntag und viele, viele mehr.

Programmatik und Ziele
Unternehmerfreundliche Reformen stehen im Vordergrund der INSM. Das Motto lautet: mehr Markt, weniger Staat. Weitere Ziele sind Begriffe zu bestimmen und neu zu definieren, Themen zu besetzen und natürlich die Bevölkerung zur reinen Marktwirtschaft zu "bekehren". Ziel ist zudem, die öffentliche Debatte zu dominieren, um das Handeln der politischen Akteure zu beeinflussen und zu bestimmen. Inhaltlich bedeutet das die Forderung nach Bürokratieabbau, Einführung eines Niedriglohnsektors, die staatliche Altersvorsorge abzuschaffen und durch eine private zu ersetzen, Subventionsabbau, niedrigere Steuern für alle und insbesondere für Großunternehmen, die solidarische Krankenversicherung durch eine private oder zumindest durch eine Art "Kopfpauschale" zu ersetzen sowie weitere Privatisierungen staatlicher Unternehmen und Aufgaben. Eine neue Tarifpolitik, welche "flexible Arbeitszeiten", "flexible Löhne" und betriebliche Bündnisse als Ziele verfolgt. Eine neue Bildungspolitik, welche Wettbewerb, Effizienz und Tempo zu den vorrangigen Zielen zählt. Eine neue Sozialpolitik, welche "Hilfe zur Selbsthilfe" als oberstes Prinzip verwirklicht. Die Abschaffung von Sozial-, und Arbeitsrechten, da sie der Schaffung von Arbeitsplätzen im Weg seien. Sie propagiert damit direkt und indirekt ein Ende der Solidar– und Sozialstaatsgemeinschaft in Deutschland und befürwortet die "Eigenverantwortung", in welcher an jeden gedacht ist, wenn jeder an sich denkt. Konkurrenz-, Leistungs-, und Wettbewerbsdenken sollen wieder verstärkt in die Köpfe der Bevölkerung. Großbritannien und die USA gelten hierbei als Vorbild für die INSM.

Medienpräsenz und PR - Journalismus
Medienpräsenz Die Agentur Scholz & Friends in Berlin ist die "PR - Maschine" der INSM und liefert mit rund 40 Mitarbeitern permanente Zuarbeit. Sie entwickelt die Strategie der INSM, verwaltet die ausführliche Internetseite inklusiver neuer Studien und ist verantwortlich für die Kampagnen. Grundlage aller Kampagnen sind wissenschaftliche Arbeiten und Studien, welche zumeist vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und vom demoskopischen Institut Allensbach herausgegeben werden. Darauf aufbauend nutzt Scholz & Friends alle medialen Multiplikatoren für ihre Kampagnen: Aufbereitung der Argumente für die Medien, Beiträge der Botschafter in Talkshows und TV - Interviews, Anzeigen, Plakataktionen, Beiträge in Zeitschriften, Internetbeiträge etc. Die Anzeigenkampagnen werden im Schnitt alle 6 Wochen mit einem neuen Thema gefahren. Anzeigen werden in allen großen überregionalen Tageszeitungen geschaltet. Die Anzeigen werden von Scholz & Friends gestaltet und sind als punktuelle Provokationen zu verstehen. Sie haben zum Ziel, nicht nur ein Thema auf die politische Agenda zu heben oder dort zu halten, sondern dienen auch dazu, die Initiative selbst im Gespräch zu halten. Die Grenzen zwischen PR und Journalismus verschwimmen zudem zusehends durch Medienpartnerschaften mit der Wirtschaftswoche, Impulse, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS), Die Welt, Handelsblatt, Zeit, Focus und der Financial Times Deutschland. Es werden Zeitungsbeiträge verfasst, welche den Journalisten die Recherche "erleichtern" sollen, einmal im Jahr wird mit der FAS der Reformer und der Blockierer des Jahres gewählt und es werden wissenschaftliche Studien als Zeitungsbeilage herausgegeben. Des weiteren wird die Medienpräsenz der INSM durch Bücher, Publikationen und Fernsehauftritte ihrer sog. Botschafter, die für marktwirtschaftliche Reformen werben, aufrechterhalten. Nicht selten sitzen so bei Christiansen, z.B. zwei Akteure, welche beide Botschafter für die INSM sind, es jedoch für den Zuschauer nicht ersichtlich ist, da sie als Publizist, Unternehmensberater, Politiker oder Historiker vorgestellt werden. Die angestrebte Pluralität der Meinungen und Objektivität der politischen TV - Formate wird hierbei untergraben und ausgehöhlt.

Begriffssymbolik
Sozial ist, was Arbeit schafft.
polemische Karikatur
des medial geprägten Satzes
Die Akteure der INSM sind sich der Bedeutung der Sprache in der Mediendemokratie durchaus bewusst und bedienen sich vieler Euphemismen, Sprachverschleierungen und Wortassoziationen. Die Formulierung Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft wurde hierbei ganz bewusst gewählt. Sie soll an Ludwig Erhards Konzept der Sozialen Marktwirtschaft erinnern, auch wenn die Ziele und die Programmatik der INSM damit nur wenig gemein hat – ein positiver emotionaler Bezug soll mit der Formulierung aufgebaut werden. Denn die INSM ist weder sozial orientiert, noch verfolgt sie Erhards Leitsatz, dass "die Wirtschaft für den Menschen da ist" - Ganz im Gegenteil. Das Wort "neu" symbolisiert dabei die Globalisierung und den demographischen Faktor, welche immer wieder als nicht beeinflussbare Gesetzmäßigkeiten "in der modernen Welt" dargestellt werden. Die INSM plädiert einen knallharten Neoliberalismus, indem der Markt als Regulator aller Lebensbereiche fungiert. Des weiteren wurden, z.B. Begriffe wie Chancen für alle, Sozial ist was Arbeit schafft, Besitzstandswahrer oder der Reformstau von der INSM erschaffen und/oder medial geprägt. Auch das Wort "Freiheit" wird fortan nur noch, im Sinne eines Neoliberalismus, d.h. als freien Zugang zum Markt verstanden. Die INSM sind eindeutig Freunde von George Orwell's Neusprech Idee.


Fazit
Unser teuerster Exportartikel.
 Plakatbeispiel 2 der INSM
Gerhard Schröders Ausspruch: "es gibt keine Alternative zu meiner Reformpolitik" entspricht der inhaltlichen und ideologischen Ausrichtung der INSM, anderer neoliberaler Initiativen und vieler Akteure in der deutschen Öffentlichkeit, die den Neoliberalismus propagieren. Derjenige der die öffentliche Meinung beherrscht, bestimmt auch die Politik - die INSM hat dies, unter anderem erreicht, indem sie Begriffe besetzt hat, die keine politischen Alternativen zulassen. Sie hat damit erreicht, dass in der öffentlichen Debatte bei fast allen politischen Themen das ökonomische Denken dominiert. Der politische Wille einzelner politischer Akteure und auch einer Partei ist somit den "Gesetzmäßigkeiten" und dem "Sachzwang" des Marktes unterworfen. Diese "Regeln" des Marktes sind jedoch keine objektive, von Gott gegebene Vorgabe, sondern wurden von Menschen erschaffen und sind somit veränderbar. Die ständige Wiederholung von augenscheinlich unveränderbaren Sachverhalten, wie der demografische Wandel und die Globalisierung, fungieren als Hauptargumente für marktwirtschaftliche Reformen, die in erster Linie den Grossunternehmen mehr Profit bringen, den Sozialstaat jedoch abbauen und die Demokratie damit als ganzes zusehends aushöhlen, da immer mehr Menschen von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen werden.


INSM verführt Studenten (Seite 2)
INSM kauft Barbara Eligmann (Seite 3)

Sehr empfehlenswert: INSM Watchblog

Quellen und weiterführende links:

  "Lautsprecher des Kapitals" aus der Zeit, Nr.19, Seite 23 vom 4. Mai 2005 von Götz Hamann
  "Die Reformlüge". Albrecht Müller. Droemer Verlag. München 2004. S.63, S. 373
  Stern Artikel über die INSM
  Homepage der INSM
  INSM auf Wikipedia
  Studie der Hans Böckler Stiftung

by epikur
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